Pressemitteilungen werden in der Regel von Menschen geschrieben, die dafür bezahlt werden, das Unternehmen oder das Produkt besonders gut aussehen zu lassen. Seien Sie kritisch, wenn Sie Formulierungen übernehmen. Das gilt vor allem für ungewöhnliche Wortkreationen und Superlative: „Die neueste Methode“ muss nicht die beste sein und eine „Jahrhundert-Entdeckung“ kann morgen schon überholt sein. Beantworten Sie die Fragen, die auch der Leser haben wird: Warum ist die “Spezial-Operation” speziell und woher nimmt der “anerkannte Experte” seine Anerkennung? Gleichzeitig können viele Fachbegriffe den Leser überfordern. Schreiben Sie einfach, aber präzise.
Achten Sie dabei auf Relationen. Wenn „deutschlandweit schon über 100.000 Menschen“ von einem Leiden betroffen sind, klingt das nach viel. Es heißt aber im Umkehrschluss, dass über 80 Millionen nicht betroffen sind: das sind 99,9 Prozent der Bevölkerung. Das gilt auch im kleinen Maßstab. Wenn eine Methode „in unglaublichen 13 Fällen” zum Erfolg geführt hat und es gab 30 Probanden, dann ist sie 17 Mal gescheitert – also nicht sonderlich erfolgreich.
Wer genau sind die „amerikanischen Forscher“, die etwas herausgefunden haben? Seien Sie konkret in Ihrer Beschreibung. Mit der Hilfe unserer Checkliste können Sie herausfinden, wer hinter einer Studie steckt und wie das Ergebnis zu bewerten ist.
Gleiches gilt für die andere Seite: „Immer mehr Deutsche sind betroffen“ klingt, als sei Ihnen keine konkrete Zahl bekannt. Woher wissen Sie dann, dass das Thema für Ihre Leser überhaupt relevant ist? Ein Vergleich erfordert mindestens zwei Messungen oder zwei Vergleichsgruppen: Seit wann steigt die Zahl der Betroffenen, wie sieht es in anderen Ländern oder anderen Altersgruppen aus?
Seien Sie zudem von Beginn an ehrlich zu Ihrem Leser. Das gilt vor allem für Überschrift und Anriss: Hier muss man zwangsläufig verdichten, aber zu drastische Formulieren machen schnell den ganzen Text unglaubwürdig. Denn die tollste Zuspitzung wird zum Fehlgriff, wenn Sie sich im letzten Absatz selbst widerlegen müssen. Wenn es unterschiedliche Fachmeinungen gibt, erwähnen Sie diese früh im Text – das steigert die Glaubwürdigkeit und beweist, dass Sie sich mit dem Thema beschäftigt haben. Und wenn Sie keine Gegenposition finden, dann erklären Sie, warum das so ist. Gibt es sonst niemanden, der auf dem gleichen Niveau in diesem Bereich forscht? Ist die Faktenlage so eindeutig, dass ihr nichts entgegen zu setzen ist?
Vor allem bei heiklen Themen sollten Sie so neutral wie möglich bleiben, auch wenn es Ihrer persönlichen Meinung widerstrebt. Nicht jeder ist zum Beispiel gegen Tierversuche oder hält Gentechnik für eine verwerfliche Sache und mit einer starken Tendenz in Ihrer Berichterstattung verärgern Sie diese Leser. Prüfen Sie daher, ob Sie ausgewogen mit Fakten umgegangen sind - auch wenn diese gegen Ihre eigene Meinung sprechen.
Zu guter Letzt: Überzeugen Sie sich von der Relevanz des Themas. Unmengen von Pharma- und Medizinunternehmen leben davon, weitgehend normale Verhaltensweisen oder Lebensabläufe als therapiebedürftige Krankheiten zu stigmatisieren. „Disease Mongering“ nannte Wissenschaftsjournalistin Lynne Payer dieses Phänomen in ihrem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1992. Darin zählt sie eine Reihe von Kriterien auf, an denen man prüfen kann, ob eine neue Krankheit den Marketing-Fantasien der Industrie entsprungen ist.
Vorsichtig mit neuen Krankheiten sollten Sie sein, wenn...
Sollten Sie auf einen Fall von “Disease Mongering” gestoßen sein, bedeutet das nicht, dass es die Krankheit nicht gibt, womöglich haben einige Menschen sogar schwer unter den Symptomen zu leiden. Es besteht jedoch die Gefahr, dass ein Unternehmen die Relevanz und die Häufigkeit gern übertrieben darstellen möchte, um ein Produkt besser verkaufen zu können.
Schon wieder eine E-Mail vom Nachrichtenchef. Er will wissen, was ungefähr in meinem Text steht und wie viel Platz ich brauche. Ok, ‘Antworten’ und los: „Ich glaube, die Geschichte ist nicht so groß wie sie das bei der Konkurrenz gemacht haben, das gibt die Studie einfach nicht her. Ich werde zwar schreiben, was an der Methode neu ist, allerdings auch, dass der Professor umstritten ist. Auch, dass aus der Studie bei weitem nicht die riesige Meldung zu belegen ist, die die Firma Bauer gerne hätte. Nachher rennen die Leser morgen noch zum Arzt und fragen nach einem Mittel, dass es noch lange nicht gibt. Gib mir 80 Zeilen.“