Auf dieser Website finden Sie Informationen zu den Kriterien, die Sie dabei beachten sollten. “MedizinMag” ist ein Online-Leitfaden für Journalistinnen und Journalisten - vor allem für diejenigen, die nicht täglich mit Medizinthemen zu tun haben. Aber auch für Profis, die noch einmal schnell etwas nachsehen wollen. Er dient als Checkliste: Am Ende sollte ein Text oder Beitrag möglichst alle Kriterien erfüllen. So lassen sich häufige Fehler vermeiden und der Journalist kann sich absichern - gegen Übertreibungen oder fehlerhafte Forschung. Die Prüfkriterien lassen sich einzeln ansteuern und werden durch ein Glossar und weiterführende Links ergänzt.
Konzept und Realisation: Kathrin Breer, Timo Brücken, Isabelle Buckow, Sebastian Schneider und Jan Strozyk von der Journalistengemeinschaft Kill Your Darlings, Nicola Kuhrt für Netzwerk Recherche, mit Unterstützung von Medien-Doktor.de
Förderung: Robert Bosch-Stiftung, neue Wege in den Wissenschaftsjournalismus
Ein gar nicht so fiktives Beispiel, das diesen Leitfaden in allen Punkten begleitet:
Schon wieder Sonntagsdienst, die Redaktion ist wie ausgestorben. Und dann kommt diese Pressemitteilung rein: Pharma-Riese Bauer schreibt, man habe "endlich ein wirksames und gut verträgliches Mittel gegen Hepatitis C gefunden". Puh. Das ist ja der Hammer, eine absolute Top-Meldung, Titelseite! Oder doch nicht? Was ist eigentlich dran an der Meldung?
Clinical Research from ECRAN project on Vimeo.
Häufig versprechen Presseinformationen zu neuen Arzneimitteln oder Therapien mehr, als diese tatsächlich bewirken können: Innovativ bedeutet nicht automatisch, dass etwas besser ist. So gibt es viele Scheininnovationen, das sind jene Medikamente, die zwar über eine neue chemische Formel verfügen, für Patienten aber keinen oder nur einen geringen therapeutischen Fortschritt bringen. Jedes Jahr werden rund 30 neue Wirkstoffe zugelassen, die wenigsten sind als medizinischer Fortschritt einzustufen. Die Mehrzahl stellt nur eine Variante bereits auf dem Markt befindlicher Wirkstoffe dar. Oft haben die Mittel sogar einen geringeren Nutzen als bereits bewährte Arzneien.
Seien Sie nicht nur kritisch gegenüber den Inhalten, die Sie durch Pharmahersteller berichtet bekommen, gleiches gilt für die Beschreibungen einzelner Patientenschicksale. Diese sind nicht repräsentativ. Hinterfragen Sie stets, was eine (neue) Arznei, eine (neue) Behandlung wirklich nützt. Welche Vorteile, welche Risiken gibt es für einen Patienten? Ein Medikament hat immer auch Nebenwirkungen - doch diese werden gern verschwiegen.
Stellen Sie den Nutzen für den Patienten so genau wie möglich dar. Ist er so erheblich, wie das Pharmaunternehmen verkündet? Oder ist er doch eher gering? Häufig ist der Nutzen neuer Medikamente im Vergleich zu bewährten noch nicht ausreichend erforscht. Langfristige Untersuchungen, die eine aussagekräftigere Bewertung des Mittels ermöglichen könnten, stehen zum Zeitpunkt der Zulassung noch aus. Weisen Sie darauf hin.
Schauen Sie sich genau an, welche Wirkungen in der Studie überhaupt untersucht wurden. Und achten Sie auf die in einer angegeben Pressemitteilung genannten Zahlen.
Arbeiten Sie mit absoluten Zahlen! Gerade bei kleinen Studien wird oft versucht, die geringe Stichprobengröße mit Hilfe von relativen Zahlen zu verschleiern: „50 Prozent der Patienten wurden geheilt“ - das klingt beeindruckend. Wenn es sich dabei aber nur um 5 von 10 Studienteilnehmern handelt, sollten Sie das in Ihrem Artikel auch benennen. Im Umkehrschluss können Sie schreiben „Von 1000 untersuchten Patienten wurden 400 mit dem neuen Medikament schneller wieder gesund.“ Solche absoluten Zahlen, die angeben, wie viele Menschen betroffen sind, haben eine größere Aussagekraft als relative Zahlen, die in Prozentwerten angegeben werden.
Um den Nutzen einzuschätzen, können Ihnen folgende Fragen helfen:
Hier steht also, dass das neue Medikament verlässlich gegen Hepatitis C hilft. Aber was sagen denn die Zahlen? 70 Prozent Heilungschance, sagt die Pressemitteilung zur Studie, und das unabhängig vom Genotyp des Virus. Das klingt doch schon mal gut. Ältere Mittel wie Interferon oder Ribavirin können zwar bis zu 80 Prozent der Patienten helfen, je nach Virustyp sinkt die Heilungschance aber auf nur 50 Prozent. Das neue Mittel wäre also ein Fortschritt hinsichtlich der Verlässlichkeit.
In Ihrem Artikel oder Beitrag sollten Sie drei Fragen beantworten:
Es ist es wichtig, immer alle möglichen Nebenwirkungen zu beschreiben, und erscheinen sie Ihnen auch noch so klein. Denn selbst die sogenannten leichteren Nebenwirkungen können für einzelne Patienten durchaus dramatisch sein. Risiken dürfen deswegen niemals herunter gespielt werden - andererseits sollten sie auch nicht übertrieben werden. Anekdoten von Patienten oder Ärzten, die das Mittel oder Verfahren getestet haben, sind keine repräsentative Informationsquelle.
Wie die Häufigkeit von Nebenwirkungen angegeben wird.
Sehr häufig: | Bei mehr als 1 Behandelten von 10 treten Nebenwirkungen auf |
Häufig: | Bei 1 bis 10 Behandelten von 100 treten Nebenwirkungen auf |
Gelegentlich: | Bei 1 bis 10 Behandelten von 1.000 treten Nebenwirkungen auf |
Selten: | Bei 1 bis 10 Behandelten von 10.000 treten Nebenwirkungen auf. |
Sehr selten: | Bei weniger als 1 Behandelten von 10.000 treten Nebenwirkungen auf. |
Die Häufigkeit von Nebenwirkungen werden mit Hilfe einer fünfstufigen Skala angeben, die von “sehr selten” (weniger als einer von 10.000 Patienten ist betroffen) bis “sehr häufig” (mehr als einer von 10 Patienten ist betroffen) reicht. Diese steht auch im Beipackzettel. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) sammelt die Meldungen über die Nebenwirkungen in einer Online-Datenbank. Hier können Sie recherchieren, wenn in der Pressemitteilung nichts über Risiken steht. Enthalten sind allerdings nur Verdachtsfälle, die durch Ärzte oder den Pharmahersteller selbst gemeldet wurden - somit besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Von Risiken steht in der Pressemeldung nichts. Die Hepatitismittel, die bisher auf dem Markt sind, sind aber dafür bekannt, viele Nebenwirkungen zu verursachen. Grund genug, um auch beim neuen Bauer-Präparat genauer hinzuschauen. Und siehe da: In der Original-Studie stehen einige unerwünschte Folgen. Kopfschmerzen - häufig, Übelkeit - sehr häufig, Schwindelgefühl - selten. Auch wenn das wohl nicht so schlimm ist, das muss auf jeden Fall im Artikel stehen.
Das Studiendesign
Beschreiben Sie in Ihrem Artikel kurz, wie die Studie aufgebaut ist. Wenn ein neues Medikament oder eine neue Therapie geprüft werden soll, ist eine randomisierte kontrollierte Studie (englisch: randomised controlled trial, RCT) das beste Verfahren (Goldstandard). In einem kontrollierten experimentellen Umfeld erforscht sie, wie das neue Medikament den Verlauf einer Krankheit beeinflusst.
Dafür werden die Patienten in Gruppen eingeteilt. Per Losverfahren landen sie in der Behandlungsgruppe oder in der Kontrollgruppe. Diese Verteilung nennt sich Randomisierung; sie garantiert, dass Merkmale der Patienten, die die Wirksamkeit der Behandlung beeinflussen könnten (zum Beispiel Vorerkrankungen oder Geschlecht), gleichmäßig über beide Gruppen verteilt sind. So können die Forscher vermeiden, dass eine Verzerrung (Bias) entsteht, bei der die Werte systematisch in eine bestimmte Richtung abweichen. Wären in einer Gruppe nur ältere Frauen und in der anderen Gruppe nur übergewichtige Männer mit Bluthochdruck, kann die Studie keine Ergebnisse darüber liefern, ob die eine Gruppe tatsächlich dank des neuen Medikaments schneller wieder gesund wurde.
Bei hochwertigen Studien wird zusätzlich zur Randomisierung eine so genannte doppelte Verblindung vorgenommen. Dabei wissen weder die Teilnehmer noch die Forscher, welche Gruppe das neue Medikament bekommt und welche eine andere Behandlung oder ein Placebo. Das sind Medikamente, die aussehen wie die Tablette, die getestet wird, sie enthalten aber keinen Wirkstoff. Durch die Verblindung wird verhindert, dass weder die Erwartungen der Teilnehmer als auch die der durchführenden Mediziner und Krankenschwestern die Ergebnisse beeinflussen.
Kontrollieren Sie neben dem Studiendesign auch, worauf sich der Fokus einer Untersuchung richtet. In vielen Studien werden nur Surrogat-Parameter betrachtet. Ein Surrogat-Parameter ist eine Zielgröße, die sich meist schneller und einfacher als eine komplexe Krankheit messen lässt und daher häufig in klinischen Studien verwendet wird. Das können Werte wie Blutdruck, Blutzucker oder Knochendichte sein. Sie hängen zwar mit Erkrankungen wie Herzinfarkten, Diabetes oder Osteoporose zusammen. Surrogat-Parameter lassen keinen gänzlichen Rückschluss auf den realen Nutzen eines Medikaments zu: Das Mittel kann sich zwar positiv auf den Surrogat-Parameter auswirken – gleichzeitig aber die Krankheit nicht heilen oder sogar negative Auswirkungen haben. Auf diesen Zusammenhang sollten Sie hinweisen.
Die Studienteilnehmer
Checken Sie, wer an der Studie teilgenommen hat. Sind nur junge Männer unter den Probanden, ist es fragwürdig, ob das Medikament bei älteren Frauen die gleiche Wirkung hat. Ist die Studie in Asien durchgeführt worden, könnte es sein, dass ihre Ergebnisse für europäische Patienten nur eingeschränkt gelten, etwa weil sie andere Ernährungsgewohnheiten oder einen anderen Lebensstil haben.
Handelt es sich um einen Tierversuch, ist nicht garantiert, dass die Ergebnisse auf den Menschen übertragen werden können. Benennen Sie in Ihrem Artikel, an wem das Medikament erprobt wurde. Fragen Sie im Zweifelsfall Mediziner oder Wissenschaftler (Experten), wie weit die Ergebnisse auf andere Gruppen übertragbar sind.
Die Stichprobe
Die Stichprobe, die in der Studie erforscht wird, darf nicht zu klein sein. Besteht die Behandlungsgruppe etwa nur aus zehn Teilnehmern, kann es sein, dass das Medikament zufällig bei allen anschlägt. Das heißt aber lange nicht, dass das Medikament später jedem Patienten nutzen wird.
Nennen Sie die Zahlen. Schreiben Sie „Von 1000 untersuchten Patienten wurden 400 mit dem neuen Medikament schneller wieder gesund.“ Solche absoluten Zahlen, die angeben, wie viele Menschen betroffen sind, haben eine größere Aussagekraft als relative Zahlen, die in Prozentwerten angegeben werden.
Gerade bei kleinen Studien wird versucht, die geringe Stichprobengröße mit Hilfe von relativen Zahlen zu verschleiern: „50 Prozent der Patienten wurden geheilt“ - das klingt beeindruckend. Wenn es sich dabei aber nur um 5 von 10 Studienteilnehmern handelt, sollten Sie das in Ihrem Artikel auch benennen.
Die Sponsoren
Prüfen Sie, wer die Studie finanziert hat (Sponsor). Hat vielleicht zufällig der Verband der Schokoladenhersteller eine Studie gefördert, die belegt, dass dunkle Schokolade die Hirnleistung bis ins hohe Alter erhält?
Seriöse Wissenschaftler legen in ihrer Veröffentlichung dar, wer die Studie unterstützt hat oder auf wessen Initiative sie gestartet wurde. Eine Studie muss nicht schlecht sein, nur weil ein Verband oder Pharmakonzern als Sponsor auftritt. Aber gerade dann sollten Sie auf mögliche Interessensverflechtungen achten und sie im Artikel angeben.
Die Onliner sind schon wieder ganz schnell. Bei Quick-News.de ist die Nachricht schon auf der Seite. Fast wortgleich aus der Pressemitteilung übernommen. Von der Studie, die dem ganzen zu Grunde liegt, steht da nichts. Nur zehn Testpersonen, ist das denn wissenschaftlich? Gab es überhaupt eine Kontrollgruppe?
Die Aussagekraft
Etwa die Hälfte aller klinischen Studien wird nie oder nur unvollständig veröffentlicht – weil die Ergebnisse den Wissenschaftlern nicht passen oder weil Pharmakonzerne verschleiern wollen, dass ihr neues Medikament negativ abgeschnitten hat.
Eine gute Studie baut immer auf vorhandenem Wissen auf. Recherchieren Sie, was schon über die Krankheit oder den Wirkstoff bekannt ist. Werden früher durchgeführte ähnliche Studien berücksichtigt? Gibt es Reviews, also Überblicksarbeiten zum Thema?
Auch bei einer guten Studie bleibt eine Irrtumswahrscheinlichkeit, weil die Forscher immer nur mit Stichproben arbeiten können. Weisen Sie in Ihrem Artikel darauf hin, und erwähnen Sie, dass bei wirksamen Medikamenten immer auch Nebenwirkungen auftreten können.
Nur eine randomisierte kontrollierte Studie kann belegen, dass ein Medikament ursächlich gegen eine Krankheit hilft: Das Medikament ist die Ursache dafür, dass ein Patient wieder gesund wird (Kausalität). Andere Studienarten können zwar Erkenntnisse über Zusammenhänge liefern und zeigen, welche Faktoren gemeinsam auftreten (Korrelationen). Epidemiologische Studien etwa können aber nicht erklären, ob der eine Faktor den anderen verursacht oder sie nur zufällig zusammen auftauchen.
Fachzeitschriften sind teuer, die meisten Redaktionen leisten sich deshalb keine der kostenpflichtigen Zugänge, mit denen man die Originalartikel von Publikationen wie “Science”, “PNAS” oder “The Lancet” lesen kann. Kostenlos findet man online häufig nur Abstracts, wer den Volltext lesen möchte, muss zahlen. Bei “Science” etwa kosten Artikel um die 30 US-Dollar und sind dabei häufig nur einen Tag verfügbar.
Ein Tipp: Kontaktieren Sie den Forscher, der die Studie publiziert hat, direkt. Schreiben Sie ihm eine Mail und bitten Sie um Zusendung des gesamten Papers. Eine solche Anfrage klappt fast immer, Forscher amerikanischer Universitäten waren früher meist schneller in den Rückmeldungen als Kollegen aus Deutschland - doch auch hier hat sich in der vergangenen Zeit viel getan...
Eine gute Alternative zu kostenpflichtigen Journals sind die zahlreichen Open-Access-Fachzeitschriften, auf deren Artikel Sie kostenfrei online zugreifen können.
Hier finden Sie eine Übersicht über kostenpflichtige und kostenfreie/Open Access-Fachzeitschriften.
Wer einen Fachartikel, eine Studie oder eine systematische Review sucht, kann dafür je nach Themengebiet spezielle Datenbanken und Suchmaschinen nutzen. Sie liefern viele Treffer, aber auch viel Unbrauchbares.
Ein Tipp: Weil wissenschaftliche Erkenntnisse einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen, sind die meisten Studien und Reviews auf Englisch verfasst. Suchen Sie also in Datenbanken und Suchmaschinen am besten direkt nach den englischen Fachbegriffen.
Ok, ich glaube, da ich lese mich lieber erstmal intensiv ein. Wie heißt das Verfahren? „Hepo-Ex“, aha. Erstmal googlen. Hier gibt es schon eine Seite. Sieht aus wie ein ganz normales Weblog. „Tolles Verfahren, den besonderen Wirkstoff zu extrahieren!“ Das liest sich ja gut. Und die Kommentare scheinen auch von einem Arzt zu kommen, wenn ich das hier richtig verstehe. Prof. Dr. Stein. Ach, guck, und im Impressum steht auch wieder Bauer Pharma – wohl doch keine so eine gute Quelle. In renommierten Fachzeitschriften taucht “Hepo-Ex” hingegen bisher nicht auf - null Treffer in der Datenbank.
Gerade im Wissenschaftsjournalismus sind Sie auf Einschätzungen von Experten angewiesen. Die aber können Ihnen viel erzählen - deshalb reicht ein einziger Forscher als Quelle keinesfalls aus. Ihr zweiter Experte darf nicht direkt an der Forschung des ersten beteiligt sein, damit seine Einschätzung auch wirklich unabhängig ist.
Ein Tipp: Sie müssen nicht mit jedem Wissenschaftler selbst sprechen. Hat dieser gerade in einem renommierten medizinischen Magazin oder einem anderen anerkannten Medium etwas zum Thema erklärt, können Sie dieses Quote durchaus verwenden - unter Nennung des Titels natürlich.
Wichtig: Die Aussagen der Experten müssen sich dabei nicht zwangsläufig widersprechen. Wenn Sie aus vermeintlicher journalistischer Korrektheit so lang recherchieren, bis Sie zwei unterschiedliche Ansichten in Ihrem Artikel anführen können, könnten Sie dadurch den Stand der Forschung verzerrt wiedergeben: Ein Vertreter einer Außenseitermeinung bekäme damit gegenüber der überwiegenden Lehrmeinung ein unangemessen hohes Gewicht - obwohl sich die meisten Fachleute bei dem Thema eigentlich einig sind. Checken Sie immer, ob eine Einschätzung unter Experten verbreitet ist - und wenn nicht, warum.
Um die Kompetenz Ihres Experten zu überprüfen, können Sie mehrere Punkte klären:
Der nächste entscheidende Punkt: Wer bezahlt die Arbeit Ihres Experten? Welche Motive könnte er für seine Aussagen haben? Wird seine Forschung durch Drittmittel gefördert, sollten Sie genau prüfen durch wen. Zwei Drittel der Forschungsgelder in Deutschland stammen aus solchen Mitteln, sie allein müssen also noch keinen unzulässigen Einfluss bedeuten. Recherchieren Sie, ob die Förderung Ihres Experten auf der Basis unabhängiger Gutachten fließt - wie etwa bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesforschungsministerium, der EU oder verschiedenen Stiftungen. Dabei gilt: Ein vertrauenswürdiger Experte muss transparent mit möglichen Interessenskonflikten umgehen und seine Finanzierung offenlegen.
Um herauszufinden, mit wem Ihr Experte zusammenarbeitet, hilft oft schon eine einfache Internetrecherche. Was steht im Impressum seines Instituts oder seiner Firma? Wer betreibt die Internetseite, welche Inhalte standen früher darauf und sind vielleicht inzwischen gelöscht? Was liegt noch auf dem Server? Mit kostenlosen Domain-Suchmaschinen können Sie diese Hintergrundinfos schnell beschaffen.
Und auch wenn es bequem ist: Vermeiden Sie “Expertenrecycling” - nur weil ein Forscher immer wieder in Medien auftaucht, ist er noch lange nicht der beste Ansprechpartner. Die Nebenautoren einer Studie haben nicht selten den Großteil der wissenschaftlichen Arbeit geleistet und stecken tiefer im Thema - es lohnt sich oft, sie an Stelle des bekannten Medienprofis anzusprechen.
Nicht zuletzt: Experten-Meinungen entbinden Journalisten nicht von der Pflicht, sich in ein Thema einzuarbeiten - auch wenn im Redaktionsalltag wenig Zeit dafür besteht. Sie müssen am Ende selbst beurteilen können, ob die Aussagen eines Experten plausibel erscheinen. Werden Sie misstrauisch, wenn er seine Argumente nicht bereitwillig mit unabhängig überprüfbaren Quellen belegen kann.
Je besser Sie mit den Fakten vertraut sind, desto weniger laufen Sie Gefahr, durch wirtschaftliche Interessen, Geltungsdrang oder schlampige Forschung getäuscht zu werden.
Wenn man vom Teufel spricht. Da ist dieser Professor Stein gerade im Fernsehen. Also nicht er, ein Tweet von ihm. „Endlich: Hepatitis C geheilt“, schreibt er und die Mittagsnachrichten nehmen das dankbar auf. Ob die diesen Professor Stein mal abgeklopft haben? Auf einem Lobbyblog steht, er beziehe Geld von mindestens drei unterschiedlichen Pharmafirmen. Auch seine Arbeit auf dem Feld der Hepatitis-Forschung ist offenbar gesponsert von der Industrie. Dann doch lieber jemanden anrufen, der nicht auf der Payroll von Bauer steht.
Ein Medikament/eine Behandlungsart/ein Test muss nicht neu sein, nur weil das in einer Pressemitteilung steht. Vielleicht wurde der Wirkstoff schon in früheren Studien getestet oder er wird bereits eingesetzt. Das lässt sich kontrollieren - zum Beispiel in der Arzneimitteldatenbank von Pharmnet.Bund Hier finden Sie Informationen zu verschiedenen Medikamenten und Substanzen, deren Zulassung und Verwendung, sowie Angaben zum Hersteller.
Schreiben Sie, was an der Methode neu ist. Welchen Nutzen bietet sie, vor allem im Vergleich zu bereits vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten? Welche Therapiealternativen gibt es auf dem Markt? Und was für Vor- bzw. Nachteile hat das neue Medikament gegenüber diesen Mitteln? Gibt es überhaupt einen Unterschied?
Die Behandlungsform ist tatsächlich neu? Dann schreiben Sie, dass es bisher keine Alternativen gab. Oder dass vergleichbare Mittel die Symptome zwar lindern, aber nicht heilen konnten.
Medikamente oder Behandlungen sind nicht immer notwendig. Oft gibt es alternative Therapiemöglichkeiten. Es muss nicht zwingend das neueste Mittel gegen Bluthochdruck sein. In manchen Fällen kann es schon helfen, die Ernährung umzustellen oder mehr Sport zu machen. Auch Operationen sind nicht immer die beste Lösung. Jeder Eingriff ist mit Risiken verbunden, Medikamente können unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringen. Dabei heilt manche Krankheit durchaus von allein.
Irgendwie kam mir das ohnehin bekannt vor. „Hepatitis C geheilt“ ergibt zwölf Treffer in der Datenbank, kein Wunder also. Vielleicht sollte ich den ganzen Artikel vergessen, wer will schon olle Kamellen nochmal lesen? Wenn mir nur nicht der Nachrichtenchef so im Nacken säße... Hier gibt es noch einen anderen Professor, der ähnliche Resultate erzielt hat. Seine Methode war eine andere, wenn ich das hier richtig sehe. Gleiches Ergebnis, andere Herangehensweise – so neu scheinen Professor Stein und seine Top-Meldung also gar nicht zu sein.
Die E-Mail des Firmensprechers klingt vielversprechend, doch irgendwo steht ein kurzer Satz: Das Medikament ist noch nicht zugelassen. Den sollten Sie nicht übersehen. Sonst machen sich womöglich Patienten falsche Hoffnungen, obwohl das Mittel noch gar nicht auf dem Markt ist. Beschreiben Sie deswegen, in welcher Phase der Erforschung sich das Medikament genau befindet. Wurde es schon im großen Maßstab getestet oder erst in einer kleinen Pilotstudie? Ist das Zulassungsverfahren abgeschlossen oder nicht?
Ist das Mittel noch nicht auf dem Markt, sollten Sie nicht darüber spekulieren, wann es erhältlich sein könnte. Vor allem nicht dann, wenn der Firmensprecher Ihre einzige Quelle ist. Bei Methoden und Medikamenten, die schon verfügbar sind, beschreiben Sie, wie verbreitet diese sind. Ob sie beispielsweise in jedem Krankenhaus angewendet werden oder nur in Spezialkliniken.
Genau so wichtig sind die Kosten: Was nützt ein neues Medikament, wenn es sich viele Patienten gar nicht leisten können? Informieren Sie Ihre Leser darüber, wie viel das Mittel oder die Behandlung kostet. Ist das noch nicht bekannt, bitten Sie Ihre Quellen und Experten um eine fundierte Schätzung. Vergleichen Sie diese mit Alternativmitteln oder -verfahren, die schon auf dem Markt sind. Und nicht zuletzt: Klären Sie, ob die Krankenkassen dafür aufkommen, und wie viel die Patienten im Zweifelsfall selbst bezahlen müssen.
Ich muss schon gestehen, dass ich diese Pressemitteilungen oft nicht bis ganz zu Ende lese. Aber hier unten steht ein interessanter Satz drin: “Das Medikament befindet sich kurz vor der Phase drei der klinischen Forschung.” Was bedeutet das denn schon wieder? Das muss die Phase der Zulassung sein - das kann ja dann noch dauern, bis das Medikament zugelassen wird. Tatsächlich, hier steht es. “Mit einer Markteinführung rechnen wir in fünf bis zehn Jahren.” Na dann kann ich ja jetzt schlecht schreiben: Hepatitis C ist geheilt.
Pressemitteilungen werden in der Regel von Menschen geschrieben, die dafür bezahlt werden, das Unternehmen oder das Produkt besonders gut aussehen zu lassen. Seien Sie kritisch, wenn Sie Formulierungen übernehmen. Das gilt vor allem für ungewöhnliche Wortkreationen und Superlative: „Die neueste Methode“ muss nicht die beste sein und eine „Jahrhundert-Entdeckung“ kann morgen schon überholt sein. Beantworten Sie die Fragen, die auch der Leser haben wird: Warum ist die “Spezial-Operation” speziell und woher nimmt der “anerkannte Experte” seine Anerkennung? Gleichzeitig können viele Fachbegriffe den Leser überfordern. Schreiben Sie einfach, aber präzise.
Achten Sie dabei auf Relationen. Wenn „deutschlandweit schon über 100.000 Menschen“ von einem Leiden betroffen sind, klingt das nach viel. Es heißt aber im Umkehrschluss, dass über 80 Millionen nicht betroffen sind: das sind 99,9 Prozent der Bevölkerung. Das gilt auch im kleinen Maßstab. Wenn eine Methode „in unglaublichen 13 Fällen” zum Erfolg geführt hat und es gab 30 Probanden, dann ist sie 17 Mal gescheitert – also nicht sonderlich erfolgreich.
Wer genau sind die „amerikanischen Forscher“, die etwas herausgefunden haben? Seien Sie konkret in Ihrer Beschreibung. Mit der Hilfe unserer Checkliste können Sie herausfinden, wer hinter einer Studie steckt und wie das Ergebnis zu bewerten ist.
Gleiches gilt für die andere Seite: „Immer mehr Deutsche sind betroffen“ klingt, als sei Ihnen keine konkrete Zahl bekannt. Woher wissen Sie dann, dass das Thema für Ihre Leser überhaupt relevant ist? Ein Vergleich erfordert mindestens zwei Messungen oder zwei Vergleichsgruppen: Seit wann steigt die Zahl der Betroffenen, wie sieht es in anderen Ländern oder anderen Altersgruppen aus?
Seien Sie zudem von Beginn an ehrlich zu Ihrem Leser. Das gilt vor allem für Überschrift und Anriss: Hier muss man zwangsläufig verdichten, aber zu drastische Formulieren machen schnell den ganzen Text unglaubwürdig. Denn die tollste Zuspitzung wird zum Fehlgriff, wenn Sie sich im letzten Absatz selbst widerlegen müssen. Wenn es unterschiedliche Fachmeinungen gibt, erwähnen Sie diese früh im Text – das steigert die Glaubwürdigkeit und beweist, dass Sie sich mit dem Thema beschäftigt haben. Und wenn Sie keine Gegenposition finden, dann erklären Sie, warum das so ist. Gibt es sonst niemanden, der auf dem gleichen Niveau in diesem Bereich forscht? Ist die Faktenlage so eindeutig, dass ihr nichts entgegen zu setzen ist?
Vor allem bei heiklen Themen sollten Sie so neutral wie möglich bleiben, auch wenn es Ihrer persönlichen Meinung widerstrebt. Nicht jeder ist zum Beispiel gegen Tierversuche oder hält Gentechnik für eine verwerfliche Sache und mit einer starken Tendenz in Ihrer Berichterstattung verärgern Sie diese Leser. Prüfen Sie daher, ob Sie ausgewogen mit Fakten umgegangen sind - auch wenn diese gegen Ihre eigene Meinung sprechen.
Zu guter Letzt: Überzeugen Sie sich von der Relevanz des Themas. Unmengen von Pharma- und Medizinunternehmen leben davon, weitgehend normale Verhaltensweisen oder Lebensabläufe als therapiebedürftige Krankheiten zu stigmatisieren. „Disease Mongering“ nannte Wissenschaftsjournalistin Lynne Payer dieses Phänomen in ihrem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1992. Darin zählt sie eine Reihe von Kriterien auf, an denen man prüfen kann, ob eine neue Krankheit den Marketing-Fantasien der Industrie entsprungen ist.
Vorsichtig mit neuen Krankheiten sollten Sie sein, wenn...
Sollten Sie auf einen Fall von “Disease Mongering” gestoßen sein, bedeutet das nicht, dass es die Krankheit nicht gibt, womöglich haben einige Menschen sogar schwer unter den Symptomen zu leiden. Es besteht jedoch die Gefahr, dass ein Unternehmen die Relevanz und die Häufigkeit gern übertrieben darstellen möchte, um ein Produkt besser verkaufen zu können.
Schon wieder eine E-Mail vom Nachrichtenchef. Er will wissen, was ungefähr in meinem Text steht und wie viel Platz ich brauche. Ok, ‘Antworten’ und los: „Ich glaube, die Geschichte ist nicht so groß wie sie das bei der Konkurrenz gemacht haben, das gibt die Studie einfach nicht her. Ich werde zwar schreiben, was an der Methode neu ist, allerdings auch, dass der Professor umstritten ist. Auch, dass aus der Studie bei weitem nicht die riesige Meldung zu belegen ist, die die Firma Bauer gerne hätte. Nachher rennen die Leser morgen noch zum Arzt und fragen nach einem Mittel, dass es noch lange nicht gibt. Gib mir 80 Zeilen.“